Der Anfang

Als wir 1982 das erste Mal unser zukünftiges Haus und vor allem seinen Garten - der eigentlich kaum so genannt zu werden verdiente - betraten, waren wir sogleich dem Zauber dieses abgeschiedenen Bereiches verfallen. Es muss wohl Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, und wie jede wahre Liebe war sie eine unverdiente. Denn sie ließ sich seltsamerweise von dem Zustand des überwiegend sich selbst überlassenen Areals, das zur Hälfte eher einem Trümmerfeld glich, als dass es an Gartenkultur in irgendeinem Sinne hätte denken lassen, nicht im mindesten beirren.

Der Blick von der Terasse am Wohnhaus auf den Innenhof mit Nebengebäude und Scheune auf dem Nachbargrundstück - Foto © 1982 Barbara Oeser

Genius loci

Auch heute noch ist es für uns ein schwer nachvollziehbares, geschweige denn aufzulösendes Rätsel, was uns im Angesicht dieses ebenso acht- wie lieblos behandelten Grundstücks den zukünftigen Garten erblicken und die zu dessen Enstehen erforderlichen Mühen übersehen ließ. Vielfältig überlagern sich da die Bilder und gedanklichen Entwürfe von damals mit denen von heute, denn wir sind weit davon entfernt zu glauben, die allmähliche Entstehung dieses Garten sei abgeschlossen, ja abschließbar. Nennen wir das, was uns in unserem Bemühen bewegt hat (und immer noch bewegt) also der Einfachheit halber mit einem womöglich hoffnungslos veralteten Ausdruck den Geist des Ortes. Unbeschadet durch den sich darbietenden Zustand der Verwahrlosung ging in unseren Augen von diesem besonderen Fleck Erde ein ganz ungewöhnliches, mediterran anmutendes Flair aus, dem wir uns nicht zu entziehen vermochten. An die Vergeblichkeit aller Mühen gemahnend hatte es, aus mitteleuropäischer Perspektive betrachtet, zugleich etwas von Leichtigkeit und dolce far niente wie alles Südländische. Ein trügerisches Versprechen, angesichts all der Anstrengung, die uns damit bevorstand.

Aus einem anderen Blickwinkel gesehen: der Innenhof mit Sandbirken als sonnenaufgeladene nachmittägliche Szenerie - Foto © 1982 Barbara Oeser

Idee fixe

Als wir schließlich nach Wöllstein in unser 1863 bis 1865 erbautes Haus zogen, war uns keineswegs deutlich, dass unser Grundstück durch seinen langgestreckten Zuschnitt wie seine durch die architektonischen Umstände bedingte Zweiteilung in eine Art Innenhof und einen sich an diesen anschließenden, ehemals bäuerlichen Hausgarten ganz eigene Herausforderungen an die Imaginationskraft der zukünftigen Gärtner stellen würde. Darüber, in welche Gestalt wir ihn einmal verwandeln würden, hatten wir allenfalls vage Vorstellungen. Ihr übergreifendes Motiv war nicht durch Gartenästhetik sondern durch die fixe Idee der genügsamen Selbstversorgung auf dem Lande gestiftet. Gerade unter jungen, eingefleischten Städtern war sie damals recht verbreitet.

Freilich hatten wir uns nicht vorgenommen, eines Tages in der Gartenarbeit völlig aufzugehen, und wir ahnten auch nicht, in welchem Ausmaß uns der Garten einmal in seinen Bann ziehen würde. Hätten wir voraussehen können, welche Mühe es tatsächlich kosten würde, aus diesem Streifen Land mit seinen wahllos abgelagerten Schuttbergen einmal den Garten zu machen, den wir heute unser eigen nennen, so wäre er womöglich nicht zustandegekommen.

Arbeit am Material

Zug um Zug entwickelte sich unsere gärtnerische Vorstellungswelt vom Machbaren zum erst noch zu Machenden während der unmittelbaren Arbeit am Material: Erde, Pflanzen, Steine. Obwohl der Hausherr gewisse zeichnerische Fähigkeiten besaß, zog es ihn nicht sonderlich zum Entwerferischen. Während am Anfang noch manches zunächst auf dem Papier Gestalt annahm, um dann baulich umgesetzt zu werden, wurde bald vieles gleich unmittelbar dreidimensional realisiert. Zu großem Teil wurden Wege erst festgelegt und gebaut, nachdem Gehölze und Stauden bereits einige Jahre gepflanzt waren, und so in ihrer Gesamtheit zeigen konnten, welche Wegführung um sie herum erforderlich wäre.

Der Innenhof mit Nebengebäude und Hochterrasse von jenseits der Mauern aus gesehen - Foto © 1982 Barbara Oeser

Umwege

Es blieb nicht aus, das eine derartige Gartenkonzeption ohne übergreifendes Konzept zu Um- und Irrwegen gestalterischer Art führte. Aber unsere Herangehensweise an den Garten war ja auch nicht so sehr von gestalterischen Absichten getragen, als vielmehr an Verfahrensweisen orientiert, wie sie etwa in der Informellen Malerei wenn schon nicht entdeckt so doch auf ihren Begriff gebracht worden sind.

Der Hauptumweg, sofern man von einem solchen sprechen darf, bestand aber darin, uns von der anfänglichen Absicht, einen Großteil unseres Grundstücks als Nutzgarten einzurichten, loszusagen und uns schließlich auf die Realisierung eines Gartens frei vom Nützlichkeitserwägungen zu verlegen. Vor wie nach dieser Hinwendung zu dem Luxus eines reinen Vergnügens am Gedeihen, Blühen und Vergehen der Pflanzenwelt, stellte unsere nicht vorhandene gärtnerische Erfahrung die wohl größte Herausforderung unserer Vorhaben dar.

Ihr versuchten wir durch eifriges Lesen der einschlägigen Ratgeberliteratur für das städtische Streben nach ländlichem Glück zu entsprechen. Es entstand eine ziemlich unbedarfte Melange von Ahnungslosigkeit und Bücherglauben, die dazu führte, dass wir vermutlich alle Irrtümer begingen, die man nur irgend begehen konnte. Die größten verdankten sich allerdings der Fehleinschätzung des eigenen Wollens und Könnens. Deren Folgen führten von heute aus betrachtet zu einer nachgerade unbegreiflich scheinenden Abfolge zeitraubender Richtungsänderungen und Irrwege.

Es dauerte eine Weile, bis wir schließlich – zu Anfang wesentlich durch unsere Misserfolge, später dann mehr und mehr auch durch Erfolge, die eigentlich gar nicht hätten eintreten dürfen - herausfanden, dass nicht weniges, was in unseren Gartenbüchern als gesichertes Wissen aufgeboten wurde, bloß unüberprüft aus anderen Büchern abgeschrieben war, die sich ihrerseits der gelehrten Kunst des Abschreibens verdankten usf. - Noch länger brauchten wir jedoch, um zu erkennen, dass manches zutreffend Beschriebene von uns auch angemessen interpretiert und auf unsere spezifischen Gartenverhältnisse und Fähigkeiten bezogen werden wollte.

Blick zurück nach vorne auf das Wohnhaus - Foto © 1982 Barbara Oeser

Wildwuchs

Zu Beginn der Verlagerung unseres Lebensmittelpunktes nach Wöllstein bot sich im hinteren Gartenabschnitt ein recht abenteuerliches Bild. Soweit unter und neben einer Zwetschenbaum-Monokultur, die im übrigen reichlich Ausläufer trieb, krautige Kulturpflanzen überhaupt noch sichtbar waren, so wurden sie durch meterhohes Gras, Quecken, Giersch und Wiesenkarotten niedergehalten. An der hinteren Grundstücksgrenze war eine Unzahl von Holunderbüschen im Begriff, das Areal weiträumig zu übernehmen, während reichlich sprossende Sämlinge und Schösslinge von Robinia pseudoacacia ihnen dabei Konkurrenz zu machen versuchten. Die Bruchweiden am anliegenden Bach reckten ihre Stämme und Äste weit in unser Grundstück und auch sie scheuten sich nicht, ihren Nachwuchs überall hin auszuschicken.

Heute

Im Durchgang durch alle Irrtümer und Umwege - so sind wir jedenfalls inzwischen überzeugt - haben wir erst das lernen können, was unsere gärtnerischen Kenntnisse, Imaginationen und Fähigkeiten geformt hat.

So erfuhren wir nicht nur eine Menge Wissenswertes über Pflanzen, ihre Kulturbedingungen und Vermehrung, über Bodenpflege und Wegebau, sondern auch über uns selbst. Manchmal braucht es nämlich seine Zeit, bis man sich eingestehen kann, dass es besser ist, keine Rosen im Garten zu haben, wenn man nicht regelmäßig zum Spritzbesteck greifen will oder einfach nicht der Typ ist, der sich beim unvermeidlichen Rosenschnitt heldenhaft Hände, Arme oder Beine zerkratzen mag.

2004 - Herbstlicher Gartenbesuch mit Gedränge auf dem noch nicht befestigten Mittelweg

Guter Vorsatz

Heute, im Jahre 2010, werden wir in unserem Garten keine Fehler mehr machen. Ab jetzt gelangen wir ohne Umwege ans Ziel. Soviel haben wir uns jedenfalls fest vorgenommen – immer unter der Voraussetzung, dass uns unterwegs nichts und niemand vom geraden Weg abbringen kann. Bloß wie es denn aussehen mag, unser Ziel, müssen wir immer noch von Wegabschnitt zu Wegabschnitt neu herausfinden. Wie wir es auch drehen und wenden, je näher wir ihm kommen, desto rascher scheint es sein Aussehen zu verändern.

Da hilft nur die Kunst, das eine zu suchen und das andere zu finden. Im angelsächsischen Sprachraum gibt es dafür sogar ein Wort: Serendipity. Wir würden gerne glauben, dass die Entwicklung einer so überragenden und tiefverwurzelten Gartenkultur wie der englischen womöglich sogar damit zu tun haben mag.

2002(oder früher?) - Vor dem Abendessen im Innenhof: Frankfurter Staudenfreunde zu Besuch

Schließen Info zeigen